Regionale Wirtschaftskreisläufe
Vom 21. bis 22. Februar 2009 tagte ein Gremium im Schlosshotel Kassel-Wilhelmshöhe, um die Realisierbarkeit einer Komplementärwährung nach dem Vorbild des Schweizer WIR-Systems zu prüfen. Die interdisziplinäre Expertenrunde mit Beteiligten aus dem Finanzwesen, dem Rechtswesen, der Planung, von öffentlichen Medien und regionalen Unternehmen folgte dabei den Leitgedanken des Impulvortrags von Prof. Bernard Lietaer. Mit seiner systemischen Sichtweise veranschaulichte Lietaer, dass die akute Finanzkrise eine Bestätigung der chronischen Anfälligkeit des Wirtschaftssystems und ihrer fundamentalen Annahmen ist, wie er sie seit Jahren diagnostiziert. Die gegenwärtigen Maßnahmen seitens der Politik und Unternehmen versuchen zwar entscheidende Elemente des Systems zu stabilisieren, bewirken damit aber nicht die Stabilisierung des Gesamtsystems. Die Belastbarkeit eines Systems kann wirksam über eine Vielheit intelligent verbundener Subsysteme verwirklicht werden, so wie das in fast allen erfolgreichen, natürlichen Systemen der Fall ist. Dafür ist ein Kompromiss der Zielgrößen Effizienz und Systemstabilität notwendig. Als Lösung plädiert er für eine Erhöhung der Vielfalt durch komplementäre Währungen, die das Leitsystem stabilisieren. Margrit Kennedy sieht weitere Gründe für diese Systemkrise in der zugenommenen Entfernung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft, deren Gründe v.a. in der Struktur des Zinseszins-System und der Praxis zunehmender Finanzspekulationen zu verorten sind. Ein komplementäres Währungssystem bietet die Chancen, einen stärkeren Bezug zur Realwirtschaft herzustellen und die regionale Wertschöpfung zu stimulieren.
Auf dieser Grundlage wurde ein Transfer des Schweizer "WIR"-Systems (Wirtschaftsring), eines erfolgreich seit 70 Jahren praktiziertes B2B-System, analysiert.
Ergebnisse waren:
- Rechtliche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, bestimmte Gesetze müssen angepasst werden und Elemente des Systems müssen an geltendes Recht angepasst werden. Diese Elemente wurden identifiziert und werden im weiteren Projektverlauf hinsichtlich einer Modifikation geprüft.
- Der Nutzen für potentielle Mitgliedsunternehmen eines solchen B2B-Systems wird sorgfältig kommuniziert. Neben dem persönlichen Nutzen für die Mitglieder wird auch der systemische Nutzen deutlich herausgearbeitet werden.
- Ein komplementäres Währungssystem B2B kann entweder sektorale (nach Branchen) oder regionale Cluster aufweisen. Von Interesse ist dabei, die bisherigen Erfahrungen ähnlicher Systeme hinsichtlich der Erfolgskriterien und Leitkriterien in Erfahrung zu bringen, z.B. kritische Masse an Mitgliedern, Heterogenität der Akteure und Vielfalt der Angebotsstruktur. Zudem kann über die Konzeption eines Informationssystems B2B zusätzlicher Nutzen und Mehrwert generiert werden.
- Zukünftig werden Mechanismen zum Vergleich und Bewertung regionaler und sektoraler Komplementärwährung und Clearing-Institutionen zur Verrechnung verschiedener Komplementärwährungen hohe Bedeutung erlangen. Zudem werden Schlüsseltechnologien wie Mobile-Payment wichtige Vorraussetzungen und "Enabler" für einen nutzerfreundlichen und unkomplizierten Währungsverkehr sein.
- Zentral ist dabei die Philosophie, eine komplementäre Währung der Gesellschaft als Gestaltungsmittel zur Verfügung zu stellen, in denen Akteure frei und selbstbestimmt eigene Visionen und Geschäftsmodelle wirtschaftlich tragfähig und partnerschaftlich realisieren können.
Interviews:
Prof. Dr. Margrit Kennedy im Interview mit der FAZ (10.11.2008)
Prof. Bernard Lietaer im Interview mit brandeins (01.2009)
Links:
Webseite von Prof. Dr. Margrit Kennedy
Webseite von Prof. Bernard Lietaer
Literatur zum Thema:
Regionalwährungen: Neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand,
Autoren: B. Lietaer, M. Kennedy (Riemann, 2006)
Status: Anpassung des Konzeptes an geltendes Recht, Gründung einer GmbH, Kommunikation des Konzeptes. (gez. Roetzel, 22.02.2009)